galerie imaginaire
Bernhard Nürnberger_ galerie-imaginaire
2012_Ausstellung_menschen möglich_in Prentzlow,
gemeinsam mit Karin Christiansen
... vom 26.10. bis 30.11.2012 zeigt die Sparkasse Uckermark in ihrer Hauptstelle am Georg-Dreke-Ring 62 in 17291 Prenzlau ihre vom Dominikanerkloster Prenzlau organisierte, traditionelle Herbstausstellung, in diesem Jahr mit Werken des Künstler-Ehepaars Karin Christiansen und Bernhard Nürnberger. Beide Künstler sind sowohl mit Malerei als auch mit Skulpturen vertreten, und zwar mit Beispielen aus Werkgruppen, die innerhalb der letzten zehn bis fünfzehn Jahre entstanden sind, viele davon auch im Atelierhaus der Künstler im ucker-märkischen Bauerndorf Wollschow.
Den Titel der Gemeinschafts-Ausstellung "menschen möglich" legen die beiden Künstler auf je eigene Weise aus: Für Karin Christiansen steht die Frage nach menschlichen Seelenzuständen und deren Ursprung in den frühen Phasen der menschlichen Biographie im Vordergrund. Bernhard Nürnberger interessiert sich vor allem für die Transfer-Prozesse, mit denen Gegeben-heiten der außer-künstlerischen Wirklichkeit in die Sphäre des Kunstwerks versetzt werden können, und er bezieht sich dabei ganz bewusst auf ausgewählte, kunstgeschichtliche Traditionen.
Nach der Eröffnung der Ausstellung durch den Vorstandsvorsitzenden der Sparkasse Uckermark, Herrn Wolfgang Janitschke, und einem musikalischen Beitrag des Saxophonisten Lutz Glasemnapp führte am Abend der Vernissage der Berliner Kunstvermittler Christoph Poche die ca. 150 Besucher in die Ausstellung ein. Seine Rede folgt hier in leichter Überarbeitung und in Auszügen (s. u.):
aus der Eröffnungsrede von Christoph Poche zu den Arbeiten von Bernhard Nürnberger:
Um gut zu verstehen, in welchem Verhältnis Malerei, Objekt-Kunst und Skulptur bei Bernhard Nürnberger stehen, und wie sie sich äthiologisch eines aus dem anderen im Verlauf der Werksentwicklung ergeben haben, können zunächst einige Hintergrundinformationen hilfreich sein:
Bernhard Nürnberger verstand sich nämlich originär als Maler, und zwar als einer, der eher das malt, was er sieht, und weniger das, was er erfindet. Seine Anfänge lagen zunächst klassisch in der Aktmalerei. Um sich einen erweiterten Themenkreis zu erschließen, begann er, Dinge allein zu dem Zwecke vor sich und seiner Staffelei zu arrangieren, dass er sie anschließend abmalen konnte - ein Verfahren, das aus der Stillleben-Malerei bekannt ist.
Diese Arrangements wurden mit der Zeit immer vielgestaltiger und begannen schließlich, starken ästhetischen Eigenwert an zu nehmen, sodass Bernhard Nürnberger irgendwann beschloss, sie nicht, wie bis dato, nach dem Malen wieder zu vernichten, sondern als eigenständige Kunstwerke, als Assemblagen, zu erhalten. So ereignete sich der Übergang von der Zwei-Dimensionalität des gemalten Bildes in die Drei-Dimensonalität der Objekt-Kunst bei Nürnberger so zu sagen "en passent", im Vorübergehen. Zwei Beispiele für solche Assemblage-Figuren sind in der aktuellen Ausstellung enthalten.
Wenn Nürnberger als Vorlage für seine Mal-Prozesse nun Gegenstände zusammenstellt, die in sich relativ amorph sind: Abfall-Materialien, Textilien, Fundstücke mit uneindeutigen Formen, dann ergibt sich beim Betrachten des daraus entstandenen Bildes ein interessanter, paradoxer Effekt: Wir ahnen zwar, dass da etwas Sichtbares geschildert wird, wir spüren das beobachtende Element in der Malerei - wegen der Unbestimmtheit in der Gestalt der zugrunde liegenden Gegenstände bleibt uns jedoch nichts anderes übrig, als das Bild als abstrakte Komposition zu deuten - sodass Nürnberger hier also auf der Grenze zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit balanciert. Auch von derartigen Arbeiten sind eine ganze Reihe in der Ausstellung zu finden.
Eine der bedeutendsten Werkgruppen bei Nürnberger bilden jedoch die seit 1993 von ihm in klassisch-bildhauerischer Technik aus Stein heraus gemeißelten Köpfe - "Kopfstücke", wie er sie nennt. Es existieren mittlerweile gut 40 Exemplare von ihnen, 13 davon zeigt die aktuelle Ausstellung. Auch hier verdankt sich Nürnbergers Interesse für den Kopf als rund-plastisches Motiv ursprünglich seiner Methodologie, Vorlagen für seine Malerei zu schaffen, indem er u.a. figurinen-hafte Material-Arrangements mit aus Gips geformten Kopf-Larven versah.
Was bei den Kopfstücken aus Stein zunächst auffällt, ist die Vielfarbigkeit des Stein-Materials. Sie verdankt sich dem Umstand, dass es sich gerade auch bei den verwendeten Steinen um Fundstücke handelt, um verschiedenartigste Mineralien, die Nürnberger auf seinen Reisen mit dem Kleinbus durch ganz Europa aufgesammelt hat - sie stammen u.a. aus Norwegen, aus Sizilien, aus Spanien, aus Frankreich und aus Polen, und einige sogar aus der Uckermark.
Dabei bringen die Steine einerseits ihre physikalisch-materielle Geschichte mit in die Skulpturen ein - indem Nürnberger ganz bewusst einiges von dem bestehen lässt, was die persönliche Geschichte des Steins an Spuren hinterlassen hat: Bruch- und Fehlstellen zum Beispiel, oder Zonen der Verwitterung. Andererseits arbeitet er durch Glätten und Polieren die ästhetischen Qualitäten der petrologischen Eigenschaftender Steine auch gerade erst heraus - Äderungen zum Beispiel werden sichtbar, oder besondere Farbgebungen, Musterungen oder Konsistenzen.
Die Gesichtszüge, die Nürnberger den Köpfen selbst verleiht, nehmen dabei zum Teil einen geradezu skurrilen Charakter an: man denkt an Fratzen ziehen und Grimassen schneiden, gelegentlich auch an die Physiognomien von Geistig Behinderten. Dort, wo sich die Fehlstellen im Stein mit den Gesichtszügen vernetzen, entstehen in unserer Wahrnehmung auch leicht Assoziation zu verwundeter, verbrannter, verätzter oder auch vernarbter Haut.
Mit diesen Arbeiten stellt sich Nürnberger in eine lange Traditionslinie einer Kunst der Anti-Klassik und der Groteske, die wir neben den vorherrschenden Idealismen zu verschiedensten Zeiten in gewissen Nischen immer wieder vorfinden: in der gotischen Kirchenkunst zum Beispiel in den Schnitzereien bei den Miserikordien im Chorgestühl - das sind kleine Notsitze, die den Chorherren das Stehen erleichtern sollten - in der Bauplastik der Romanik in den Säulenkapitellen, bei der mittelalterlichen Buchmalerei in den Drollerien der Bordüren oder Initialen, und schließlich besonders ausgeprägt bei dem spät-barocken Wiener Bildhauer Franz-Xaver Messerschmidt.
Was jedoch den Unterschied zu diesen Vorläufern ausmacht, ist das gleichrangige Nebeneinander der Ästhetik des künstlerischen Erzählens und der Ästhetik des Materials - was Nürnberger dem Material erlaubt, ist, nicht nur zu dienen, sondern selbst zu sprechen, und zwar, seine eigene, unabhängige Geschichte zu erzählen - so dass wir als Betrachter zu etwas genötigt werden, was man bezeichnen könnte als ein inneres Oszillieren, ein Hin- und Herwechseln zwischen den Ebenen der Betrachtung - und dieses Oszillieren kann uns nahe legen, zu einer neuen Art der Wertschätzung zu finden für das Unfertige, für den Fehler, für die Unvollkommenheit - und dabei das eigentlich Vollkommene auch in diesen Aspekten der Wirklichkeit zu erkennen."